YB startet gut in die Saison. Ein erstes Highlight ist der Sieg gegen Dynamo Kiev in der Champions League-Quali: Nach einer 1:3-Niederlage im Hinspiel gewinnt YB zu Hause in einer dramatischen Partie dank eines Last Minute-Treffers mit 2:0. Die Euphorie ist riesig, und man merkt, dass diesem Team viel zuzutrauen ist. Ein erster Dämpfer kommt mit dem Champions League-Playoff, in welchem man sich dem Vertreter aus Moskau ergeben muss. Nach kurzem Frust über die verpasste Champions League-Gruppenphase folgt die Freude: YB spielt in der Gruppenphase der Europa League und erhält schlagbare Gegner zugelost, die leider aber nicht sonderlich attraktiv und somit wohl auch keine Publikumsmagneten sind. Die Meisterschaft beginnt unterdessen mit einem Traumstart. Noch ohne Verlustpunkt dastehend kann YB zum Heimspiel gegen den FC Thun antreten. Ich habe die Qual der Wahl: Besuche ich das Spiel an meinem Stammplatz im Sektor D, oder mit den Vertretern des Fussballverbandes Bern Jura anlässlich der Verleihung des Fairplay-Preises im Sektor A. Weil unter den Vertretern des Fussballverbandes viele Oberländer waren, entschied ich mich für den Matchbesuch mit ihnen. Dieser Schuss geht nach hinten los: YB verliert sang- und klanglos mit 0:4. Ich bereue meine Entscheidung und werde mit zahlreichen Kommentaren seitens der Vertreter aus dem Oberland eingedeckt. Trotz der schmerzhaften Niederlage agiert YB, zumindest in den nationalen Wettbewerben, weiterhin stark. Der Vorsprung auf Basel wächst, Basel lässt YB aber nicht ziehen. Nach einer kleinen Krise (Niederlagen in Lausanne und in Thun, Unentschieden unter anderen gegen GC zu Hause) hatte Basel die Möglichkeit, YB noch vor der Winterpause wieder zu überholen. YB besiegt im letzten Spiel im Jahr 2017 den FC Luzern und darf so als Tabellenführer Weihnachten feiern. In der Zwischenzeit war YB in der Gruppenphase der Europa League mit enttäuschenden Auftritten gescheitert, nur ein Sieg resultierte aus 6 Spielen, am Schluss war’s Rang 3. Das Ziel, europäisch zu überwintern, wurde verfehlt. Als Berner ist die Freude über den ersten Platz in der Liga und die Qualifikation für den Halbfinal des Schweizer Cups zwar gross, jedoch ist der YB-Fan von den letzten Jahren gezeichnet: Es wurden bereits deutlich mehr als 2 Punkte im Rennen um den Meistertitel verspielt. Der Gegner für den Cup-Halbfinal: ausgerechnet der FC Basel. Aber es ist ein Heimspiel. Und wir spielen lieber im Halbfinal als im Final gegen Basel. Bereits 2009 haben wir Basel in unserem Wankdorf im Halbfinal eliminiert. Warum sollte es dieses Jahr also nicht auch gelingen?

In vielen Gesprächen mit Freunden merke ich, dass ich noch nicht wirklich an einen Titel glaube. Meine einzige Hoffnung ist, dass der FC Basel nach einigen Abgängen und auch Zuzügen zu Beginn der Rückrunde noch keine Einheit ist und so einige Punkte liegen lässt, YB, das keine personellen Änderungen zu verbuchen hatte, zeitgleich einen hervorragenden Start erwischt und gleich davonziehen kann.

Meine Hoffnung schien sich zu bewahrheiten. Der FC Basel leistete sich historische Aussetzer. So gingen erstmals seit vielen, vielen Jahren zwei Heimspiele in Folge verloren, und dies gegen Gegner aus der unteren Tabellenhälfte. YB erwischte einen hervorragenden Start in die Rückrunde. Der FC Basel hatte zudem das Pech, zwei Spiele nicht zum geplanten Zeitpunkt bestreiten zu können. Das Terrain in Lausanne und der Stromausfall in Basel machten dem FCB einen dicken Strich durch die Aufhol-Rechnung. YB gelang es, die Spiele zu gewinnen und so den Druck auf den FCB zu erhöhen. Zwischenzeitlich lag YB 19 Punkte vor dem FCB. Es folgt der Cup-Halbfinal gegen den FC Basel. Ich bin immer noch skeptisch. Ich bin überzeugt, dass dies ein wegweisendes Spiel werden würde: Gewinnt der FCB, fällt YB in eine Krise und verliert innert kürzester Zeit die Chance auf beide Titel, weil Basel sich in einen Rausch spielt. Gewinnt aber YB, so bin ich überzeugt, dass sie den Cup-Schwung auch in die Meisterschaft mitnehmen können und sich nicht mehr von Platz 1 stossen lassen würden.

YB gewinnt den Cup-Halbfinal. 2:0. Und nicht nur das: YB dominiert den FCB. Der Sieg war zu keiner Zeit gefährdet. Ab jetzt bin ich überzeugt, dass YB Meister wird. Zum ersten Mal seit 1986, zum ersten Mal, seit ich auf der Welt bin. Seit ich vor mehr als 20 Jahren mein erstes Spiel im alten Wankdorfstadion besuchte. Schon als kleines Kind wünschte ich mir YB als Meister, oder wenigstens als Cupsieger. Statt eines Titels erlebte ich aber Anderes: einen Abstieg in die damalige Nationalliga B. YB war am Boden. Fast der Konkurs. Die Rettung in letzter Sekunde. Turbulente Zeiten, immer neue Geldgeber. Viele Spieler, viele Trainer. YB kurz vor dem Abstieg in die 1. Liga. Dann kam Marco Schällibaum. Mit ihm kehrte die Hoffnung zurück. An Spieler wie Gügi Sermeter, Harut Vardanyan und Artur Petrosyan, Sanin Pintul, Robert Wallon und Avraham Tikva erinnere ich mich immer gerne zurück. Mit dem Wiederaufstieg folgte immerhin mein bis daher grösstes YB-Highlight. Jubelnd stürmte ich als kleiner Knirps auf den Platz, wollte den Aufstiegshelden nahe sein. Auch der Auftritt in der Champions League-Qualifikation gegen Roter Stern Belgrad im Zürcher Hardturm wird mir mein Leben lang in Erinnerung bleiben. Nach zwei verlorenen Cupfinals und je einer Niederlage in einer Finalissima in Basel und in Bern, in denen ich nach Spielschluss weinend im Stadion sass, soll es nun also gelingen. Kürzlich erzählte ein guter Freund von seinen Erinnerungen an die erste Finalissima, an jene in Basel. Er liess mich alleine auf meinem Platz und kehrte zu mir zurück, als ich fast alleine im Sektor sass, immer noch fassungslos auf meinem Sitz. Das einzige, was ich in diesem Moment zu ihm sagte: «Ach, weisst du, wenn wir gewonnen hätten, dann wär’s nicht mehr mein YB.».

Jetzt ist 2018, und es ist Zeit für ein neues YB. Trotz des grossen Vorsprungs lässt YB nicht nach, holt Sieg um Sieg und bleibt im neuen Jahr noch ungeschlagen. Der FCB besucht uns in Bern zum Meisterschaftsspiel. Der FCB muss das Spiel unbedingt gewinnen, YB darf. Es ist das Spiel der Traumtore. Hoarau mit einem Fallrückzieher zur 1:0 Führung, ein Weitschusstor des FCB zum 1:1 Ausgleich. Als der FCB zwischenzeitlich mit 1:2 in Führung geht, gibt YB nicht auf und erkämpft sich ein 2:2, das sich für die Basler wie eine Niederlage anfühlt. Mein Glaube nimmt zu, YB packt’s in diesem Jahr. YBelieve!

Auch wenn in den kommenden Spielen viele schlechte Leistungen dabei waren, es reichte immer zum Sieg. In Lugano, in Zürich, in St. Gallen. Nie hat YB über 90 Minuten restlos überzeugt, selten hat YB kein Gegentor zugelassen, aber am Ende haben sie eben doch immer mindestens ein Tor mehr erzielt als der Gegner. So stelle ich beim Heimspiel gegen den FC Zürich schockiert fest, dass YB im Falle eines Sieges und einer gleichzeitigen Niederlage Basels den Meistertitel bereits am kommenden Mittwoch in Thun dingfest machen kann. Das Problem: Von Montag bis Freitag bin ich in Griechenland – die letzten Ferien mit meiner Freundin, bevor im Sommer unser erstes Kind zur Welt kommen soll. Zum ersten Mal in dieser Saison bin ich glücklich, dass der FCB gewonnen hat – ich erlebe den ersten Titel seit 1986 also nicht aus der Ferne. In einem Hotel in der Nähe von Athen höre ich gespannt Radio Gelb-Schwarz – und ich muss zuhören, wie YB Chance um Chance liegen lässt und dem FC Thun so die Chance ermöglicht, mit 1:2 in Führung zu gehen. Ein grosses Problem von YB in dieser Saison: Man kassiert zu viele unnötige Gegentore, im Schnitt mehr als ein Tor pro Spiel. Glücklicherweise ist YB nicht mehr das YB von früher, das sich von einem Gegentor aus der Ruhe bringen lässt. Der YB-Flow und die Serie der 2018er-Ungeschlagenheit gehen aber weiter, YB gleicht kurz vor Schluss aus. YB nimmt einen Punkt mit aus Thun; ein Punkt aber, der nicht reicht, um bereits am Sonntag gegen Lausanne Meister zu werden. Zurück aus den Ferien stehe ich am Samstag bei bestem Wetter auf dem Fussballplatz, wo ich das Material für das bevorstehende Spiel der von mir trainierten Juniorenmannschaft vorbereite. Ich spüre, wie ungeduldig ich bin. Ich kann kaum auf den Sonntag warten, in dem YB sich einen ersten Meisterschaftsmatchball erarbeiten kann. Irgendwie geht der Tag dann doch noch vorbei und dann ist es endlich soweit: Bei bestem Wetter reisen wir nach Bern, wo das Heimspiel gegen Lausanne ansteht. Wenn YB gewinnt und der FCB in Sion höchstens einen Punkt holt, so kann YB im nächsten Spiel den Sack zumachen. Während YB souverän einen nie gefährdeten Sieg einfährt, bleibt’s in Sion lange spannend. Der Jubel ist riesig, als das Schlussresultat bekannt ist: 2:2. YB kann sich also sechs Tage später mit einem Sieg aus eigener Kraft den Meistertitel sichern. YB. Meister. Unglaublich!

Die Woche wirkt unendlich lang, die Anspannung ist enorm gross, die Vorfreude riesig. Ganz Bern ist bereit für den Titel. Den ersten Meistertitel seit 32 Jahren. Es ist spezieller als es in Basel oder in Zürich war, als diese jeweils nach 25 Jahren ihren ersten Titel gewannen. Natürlich war auch dort die Freude gross. Die beiden Teams hatten aber den steileren Aufstieg als YB. YB etablierte sich in den letzten Jahren an der nationalen Spitze, ohne aber einen Titel zu gewinnen. Zwei Cupfinalniederlagen seit 2006, zudem durfte zweimal eine Finalissima gespielt werden. Einige zweite Plätze kommen dazu, jedoch mit mehr Abstand auf den Meister. Und jetzt kann YB Meister werden. Sie können’s packen! Ich kann es noch gar nicht wirklich glauben.

Es kommt der Tag der Tage: Es ist Samstag. Ich will nur noch nach Bern. Vor dem YB-Match steht aber noch ein Einsatz als Trainer an. Die schwache Leistung meiner Mannschaft belastete meine Stimmbänder bereits jetzt. Am Ende kommt alles gut, es resultiert ein 7:0-Sieg und der Party in Bern steht nichts mehr im Weg. Nur meine Stimme, sie sollte sich dann bis weit in die kommende Woche nicht mehr erholen. In Bern angekommen, ist sichtbar mehr los als bei den anderen Spielen dieser Saison. Man merkt, dass etwas in der Luft liegt. Und es ist nicht irgendetwas, es ist etwas Historisches. Ein Meistertitel. In Bern, der Stadt der ewigen Verlierer. «Die werden’s dann schon noch veryoungboysen!».

Die Spieler sind zu Beginn sichtlich nervös. Ein unspektakuläres 0:0 resultiert zur Pause. Das reicht nicht. Ein Sieg muss her, sonst wird die Meisterparty vertagt. Das will in Bern niemand. Kurz nach der Pause geht der FC Luzern mit 0:1 in Führung. «Nicht schon wieder!», denkt sich der YB-Fan. Kurz darauf gibt’s einen Penalty für YB. Hoarau, 1:1. Die Hoffnung ist zurück. Je länger das Spiel dauert, desto nervöser die Stimmung im Stadion. Kaum jemand sitzt noch, alle stehen sie im Stadion. Es ist laut, so laut wie noch seit dem Umzug vom Neufeld ins neue Wankdorfstadion, und so laut wie wahrscheinlich noch nie in der 120-jährigen Vereinsgeschichte. Es liegt etwas in der Luft, es kommt gut. Nach 80 Minuten der Schock: Penalty für Luzern. Ich spüre, dass es trotzdem gut kommen wird. Und es kommt gut: Wölfli kratzt den gut geschossenen Elfmeter spektakulär – und jetzt weiss jeder im Stadion: Es wird reichen! Es reicht. YB wird ein Tor schiessen. YB gewinnt. Es muss so kommen. YB WIRD MEISTER! Es gibt einen Freistoss für YB aus dem Halbfeld. Sulejmani tritt ihn. Sulejmani, den ich noch nie so viel und so schnell rennen gesehen habe wie in diesem Spiel. Auch er will den Titel unbedingt! Er bringt den Ball in den Strafraum, wo ein Luzerner per Kopf klärt. Schick, einige Sekunden zuvor eingewechselt, grätscht den Ball zu von Bergen, der ihn nach links zu Benito weiterleitet. Benito spielt Sulejmani an, der den Gegner austanzt, zur Mitte flankt. Hoarau legt den Ball mit dem Kopf vors Tor, wo der eingewechselte Nsame mit voller Entschlossenheit (die wir im Laufe des Spiels und der Saison vor allem bei Assalé oft vermissten) den Ball ins Tor hämmert. Jetzt eskaliert alles. Was ab jetzt bis zum Schlusspfiff passiert: Keine Ahnung. Wir jubeln bei uns. Mit der Reihe hinter uns, den Jungs vom FC Aarberg, die am Sonntag um 10.15 Uhr ein Meisterschaftsspiel zu bestreiten haben (sie sind zwar nach 16 Minuten bereits mit 2:0 in Führung, die Partynacht zollte wohl aber ihren Tribut und so mussten noch 5 Gegentreffer hingenommen werden). Mit den treuen Leidensgenossen vor uns, die wir zwar seit vielen Jahren kennen und schätzen, ihre Namen aber noch immer nicht wissen. Mit Bekannten, die ihre Plätze weiter hinten haben. Sie stürmen auf uns zu, umarmen uns. Ein Freund und ich, wir haben aber bereits von Anfang an gesagt, dass wir im Falle einer Führung den Balkon verlassen, das Geschehen von den Stehplätzen weiterverfolgen werden. Wir stürmen wie die Wilden nach unten, viel Zeit bleibt nicht, es läuft bereits die Nachspielzeit. Auch auf den Stehplätzen sind wir nicht lange bei unseren Fanclub-Kollegen, mit denen wir während vielen Jahren der bitteren Misserfolge alle Spiele besuchten, geblieben. Ab aufs Gitter, übers Gitter, auf die LED-Bande, über die LED-Bande. Noch ein Eckball für Luzern. Mittlerweile sind wir wieder beim Spiel. Der Ball kommt nochmals zur Mitte, Sanogo hämmert ihn weit weg, und dann, endlich, 3 Pfiffe, das Spiel ist aus. MEISTER! Es folgt ein unglaublicher Sprint aus der Pole-Position auf das Spielfeld. Was in den nächsten Momenten geschehen ist: Keine Ahnung! Wohin ich gelaufen bin: Keine Ahnung! Alles egal, YB ist Schweizer Meister! Endlich. Ich befinde mich plötzlich bei der Trainer-Bank, gratuliere Adi Hütter zum Erfolg. Als ich viele Minuten und einige Champagner-Duschen später mich von den Trainerbänken löse und planlos über das Spielfeld gehe, laufe ich meinem besten Freund in die Arme. Ein Umarmung, das Wort «ENDLICH!» und die ersten Freudetränen. Ein unglaublich emotionaler Moment! Wir machen ein Bild für die Ewigkeit: Das erste Selfie nach dem Meistertitel! Als ich zum ersten Mal auf mein Handy schaue, habe ich zahlreiche Nachrichten, unter anderen die Gratulation von einem ehemaligen Studienkollegen, den ich seit Jahren nicht gesehen habe. Er hat mich im TV gesehen, wie ich Adi Hütter zum Titel gratuliere.

Noch lange bleiben wir im Stadion, immer wieder treffe ich Bekannte an. Langsam beginne ich zu realisieren, was da passiert ist. YB ist Meister. Schweizer Meister. Unglaublich. Ich kehre auf meinen Stammplatz zurück, wo sich noch immer mein Vater und meine Schwester zusammen mit einem Freund von mir befinden. In diesem Moment verzeihe ich meinem Vater: Er hat mich zum YB-Fan gemacht. Er hat mich immer wieder zu den Spielen mitgenommen. Er hat mich süchtig gemacht. Wegen ihm habe ich viel gelitten, all die negativen Momente mit YB miterlebt, viel geweint, immer wieder Enttäuschungen erlebt. Aber heute wurde ich für die lange Treue belohnt. Ich war noch nie in meinem Leben so glücklich wie zu diesem Zeitpunkt. Es ist geschafft. YB ist Meister! Ich kann nicht mehr ruhig sitzen – zusammen mit dem Freund, der die Saisonkarte neben mir hat, geht’s zurück aufs Spielfeld. Das Einzige, das mir in diesem Moment fehlt, ist mein Bruder. Er war seit Jahren immer dabei, hat wie ich weit über 200 Spiele gesehen in den letzten Jahren, hat diverse internationale Reisen mitgemacht. Auch er war emotional jeweils am Boden, wenn YB mal wieder alles veryoungboyst hat. Und ausgerechnet in jenem Jahr, in dem er sein Masterstudium im Ausland absolviert, packt’s YB. Er ist bei diesem positiven emotionalen Moment nicht dabei. Ich hätte mir nichts mehr gewünscht, als ihn in diesem Moment an meiner Seite zu haben!

Was mir an der nun laufenden Stadionparty nicht gefällt: Im Stadion herrscht Club-Stimmung. Ich mag keine Club-Stimmung. Ich will Stadionatmosphäre. Es gehört wohl zum Berner Lifestyle, insbesondere bei den jungen Bernerinnen, auch wenn sie noch nie ein Spiel gesehen haben, bei dieser Party dabei zu sein. Wäre ich nicht so sehr in meiner Welt gewesen, ich hätte das Stadion wohl enttäuscht verlassen. So aber bleibe ich auf dem heiligen Rasen, ergattere mir ein Meister-Shirt, geniesse den Moment, bewundere alle, die bis nach 01.00 Uhr in regelmässigen Abständen Pyros abbrennen. Als ich kurz vor 02.00 Uhr das Stadion verlassen will, treffe ich die Vierer-Gruppe mit den Saison-Abis in der Reihe vor mir. Wir umarmen uns, und endlich weiss ich auch ihre Namen. Ich verlasse das Stadion mit der Absicht, nun nach Hause zu fahren. Ich mag keine grossen Menschenansammlungen, keine überfüllten Clubs und Bar, deshalb ist die Stadt in dieser Nacht nicht mein Ding. Auf dem Weg zum Auto dann ein anderer Gedanke: «Ach, was soll’s? Man wird schliesslich nur alle 32 Jahre Meister, und ob ich mit 60 Jahren noch in der Stadt feiern mag, weiss ich nicht…». Also: Ab in die Stadt, SMS an die Freunde. Wir treffen uns in der Aarbergergasse. Auf dem Weg dahin stelle ich fest, dass auf dem Bundesplatz noch etwas los ist. Als unsere Gruppe da angekommen ist, zog die immer noch beachtlich grosse Gruppe gerade weiter in die Stadt. Lieder wurden gesungen, weitere Pyros abgefackelt. Danach löste sich die grosse Gruppe auf, man zog weiter in die verschiedenen Lokale der Stadt, es war schliesslich Freinacht! Wir liessen den Abend im Cowboys ausklingen, bevor wir via McDonalds im Bahnhof den Heimweg antraten. Um 05.20 Uhr, draussen wurde es bereits wieder hell, bin ich dann zu Hause und falle, total überwältigt von den vielen Eindrücken der letzten 12 Stunden, totmüde in mein Bett und in einen glücklichen Tiefschlaf.

Auch nach dem Aufwachen kann ich meine Gedanken noch nicht wirklich sortieren. Ein unglaubliches Glücksgefühl, aber auch eine riesige Erleichterung, das grosse Ziel nun endlich erreicht zu haben. Ich wäre aber nicht ein YB-Fan, wenn ich nicht bereits die nächsten Zweifel hätte: Noch vier Meisterschaftsrunden sind zu spielen, danach steht der Cup-Final auf dem Programm. Die Chance auf den zweiten Titel in dieser Saison, auf den ersten Cupsieg seit 1987, und das nach 3 verlorenen Finalspielen. Die Chance auf das erste Double seit 60 Jahren! Aber eben: Der FC Zürich steht mitten im Kampf um die Europa League-Plätze, während YB sich nicht mehr vom ersten Platz verdrängen lassen kann. Beim FCZ ist also die Anspannung bis zum letzten Spieltag der Meisterschaft gross, während es bei YB in den letzten Spielen nichts mehr zu gewinnen gibt. Ich glaube aber fest daran, dass YB alles geben wird, um die Rückrunde ohne Niederlage zu überstehen und so in bester Verfassung für den Cupfinal im heimischen Wankdorfstadion gegen den FCZ vorbereitet sein wird. Wir holen das Double, ich glaube fest daran! Oder wie man es in der YB-Sprache sagt: YBelieve!

Am Sonntag fühlt sich alles noch etwas surreal an, ich habe den ganzen Tag das Gefühl, den Freudetränen nahe zu sein. Einerseits will ich alles nochmal anschauen, alles nochmal in mich aufsaugen, andererseits will ich von der Erinnerung leben. Nur wenige Szenen schaue ich mir am Sonntagnachmittag noch einmal an. Ich geniesse den Moment. Am Montag geht’s wieder zur Arbeit, zurück in die Schule. Von vielen werde ich auf meine angeschlagene Stimme angesprochen. Kaum einer glaubt mir, dass dies auf das Spiel meiner Junioren und mein Coaching zurückzuführen sei – ganz ehrlich: ich selber auch nicht. Wäre meine Stimme nicht schon vom Juniorenspiel angeschlagen gewesen, so hätte sie höchstens an der Meisterparty länger durchgehalten.

Für meine Erinnerungsbox sammle ich alle Tageszeitungen vom Sonntag und von Montag ein, so dass ich im Jahr 2050, kurz vor dem nächsten Meistertitel, noch einmal in diesen emotionalen Moment abtauchen kann und meinen Kindern, von denen das erste in diesem Sommer zur Welt kommen wird, nicht nur aus meinen Erinnerungen vorschwärmen kann. In die Erinnerungsbox habe ich auch mein Meisteroutfit gelegt, Meistertrikot (das Matchdress aus einer längst vergangenen Saison), Meisterunterhemd, Meisterhose, Meistersocken und natürlich auch die Meisterboxershorts. Dies soll als Motivation dienen, dass ich zum entscheidenden Spiel der Saison 2049/50 noch immer eine Figur habe, in der ich die Kleider in der Grösse S tragen kann.

Ich bin enorm glücklich, dass ich die nächsten vier Spiele Zeit habe, mir diese entspannt anzusehen und mich emotional auf den Cup-Final vorzubereiten. Als Zwischenziel steht das letzte Meisterschaftsheimspiel der Saison gegen Lugano mit der Pokalübergabe auf dem Programm.

YB IST MEISTER! YBelieved.
YB WIRD CUPSIEGER! YBelieve.

YBFOREVER! Hopp YB!